"Five Eyes" wollen unter sich bleiben (2024)

Kanzlerin Merkel hat zwei ihrer Spitzenbeamten nach Washington geschickt, um neue Regeln für die Kooperation der Geheimdienste zu erarbeiten. Britische Medien gehen davon aus, dass Merkel Deutschland zum Mitglied im Club der "Five Eyes" machen will.

Am 5. März 1946 unterzeichnen US-Generalleutnant Hoyt Vandenberg und der britische Colonel Patrick Marr-Johnson in London einen Geheimvertrag. Es ist ein besonderer Moment: Erst vor einem halben Jahr ist der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen, in dem Briten und Amerikaner militärisch und geheimdienstlich so intensiv wie erfolgreich kooperiert hatten.

Diese Zusammenarbeit wollen Briten und Amerikaner auch im sich abzeichnenden Kalten Krieg fortsetzen. Noch vertreten die Briten ein Weltreich, entsprechend groß ist ihr internationales Gewicht. In ihrem Geheimvertrag kommen beide Länder überein, die "Produkte" ihrer nachrichtendienstlichen Operationen gegen ausländische Regierungen auszutauschen. Eine Fußnote erklärt, was erfasst und analysiert werden soll: "die gesamte Kommunikation der Regierung und der militärischen Streitkräfte eines fremden Landes, einschließlich Luftwaffe und Marine, aller Fraktionen, Parteien, Ministerien, Behörden und Dienststellen sowie jeder Person und aller Personen, die für dieses Land handeln oder vorgeben, dafür zu handeln".

Kurzum: Erfasst werden soll alles, die gesamte relevante oder auch nur potenziell relevante Kommunikation aller Länder außerhalb der USA und Großbritanniens. Nur Kanada, Australien und Neuseeland erhalten als britische "Dominions" einen Sonderstatus. Ein paar Jahre später sind die drei ehemaligen Kronkolonien gleichberechtigte Partner im sogenannten "UKUSA Agreement". Da diese "Five Eyes", wie das Bündnis genannt wird, sämtliche Ergebnisse ihrer Geheimdienstarbeit untereinander offenlegen, spionieren sie sich gegenseitig nicht aus.

Geteilte Arbeit, gemeinsame Sprache, ähnliche politische Kultur

Das Bündnis, dessen Ursprungsvertrag so geheim war, dass er erst vor drei Jahren veröffentlicht wurde, hält bis heute. Es garantiert nicht nur wechselseitigen Schutz, sondern auch Effizienz durch Arbeitsteilung: Die USA sind zuständig für Lateinamerika und den größten Teil Asiens, außerdem für Russland und das nördliche China, wie der Geheimdienstexperte Jeffrey Richelson in einem Buch über die US-Geheimdienste schreibt. Australien kümmert sich um seine Nachbarstaaten (etwa Indonesien), das südliche China sowie Südostasien. Großbritannien verantwortet Afrika und die Staaten der früheren Sowjetunion westlich des Urals, also etwa die Ukraine. Die Polargebiete Russlands fallen in die Zuständigkeit der Kanadier. Das kleine Neuseeland überwacht den westlichen Pazifik. Wobei die geografischen Zuordnungen offenbar flexibel gehandhabt werden: Vor ein paar Tagen berichtete der brasilianische Sender "Globo", der kanadische Geheimdienst CSEC habe das brasilianische Bergbau- und Energieministerium überwacht.

Das Besondere an den "Five Eyes" ist, dass sie weitaus mehr sind als ein pragmatisches Bündnis. Die Mitglieder im exklusivsten Geheimdienstclub der Welt haben eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Wurzeln, eine gemeinsame Geschichte im Kampf gegen Hitler, ähnliche politische Kulturen und ähnliche Rechtssysteme. Eines der besten Beispiele für die Zusammenarbeit der "Five Eyes" ist das berühmt-berüchtigte Echelon-Programm, mit dem seit den 1970er Jahren Telefongespräche weltweit abgehört wurden - unter anderem vom bayerischen Bad Aibling aus.

Deutschland ist nur ein "Drittland"

In der Terminologie der "Five Eyes" ist jedes andere Land ein "Drittland". Das gilt auch und vor allem für Deutschland, das 1946 noch kein Verbündeter war, sondern ein besiegter Feind, den es zu kontrollieren galt. Zugleich war Westdeutschland ein idealer Außenposten in der Abwehr der neuen, der sowjetischen Bedrohung.

Die 1949 gegründete Bundesrepublik wurde daher zwar in das westliche Bündnis integriert, aber auch besonders intensiv überwacht. "Strategie der doppelten Eindämmung" nennt das der Historiker Josef Foschepoth. So wurden in den 1950er Jahren beispielsweise sämtliche Telegramme und Fernschreiben, die durch die Hauptleitungen im amerikanischen Gebiet der Bundesrepublik gingen, mitgeschrieben und zur Auswertung in die USA geschickt.

Später erledigten die deutschen Dienste die Überwachung für die Alliierten selbst. Diese behielten sich das Recht "zu unbegrenzter geheimdienstlicher Tätigkeit" auf dem Gebiet der Bundesrepublik vor, so Foschepoth. Eine geheime Verwaltungsvereinbarung aus dem Jahr 1968, die den westlichen Siegermächten diese Rechte garantierten, wurde erst im vergangenen August "im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben".

Merkel neidisch auf die "Five Eyes"

Trotzdem war und ist Deutschland nicht einfach willfähriger Handlager oder gar Opfer der amerikanischen Überwachung. "Jede Bundesregierung seit Konrad Adenauer weiß ganz genau, wie es um die amerikanischen Nachrichtendienste steht", sagt der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Und jede Bundesregierung kooperierte geheimdienstlich mit den USA. 2003 etwa lieferte der Bundesnachrichtendienst während des (von der damaligen rot-grünen Bundesregierung abgelehnten) Irak-Krieges Informationen aus Bagdad an die USA.

Seit bekannt ist, dass die NSA nicht einmal vor dem Mobiltelefon von Angela Merkel Halt machte, gibt es in Deutschland Überlegungen, ob ein Beitritt zu den Fünf Augen sinnvoll sein könnte. Auf dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche soll die Kanzlerin das Thema in einer vertraulichen Unterredung mit dem britischen Premier David Cameron angesprochen haben. Aber auch in der großen Runde wurde darüber gesprochen: "Mit Blick auf Großbritannien gab es ein paar Anspielungen auf die sogenannten Five Eyes", teilte laut "Guardian" ein britischer Regierungsvertreter mit. "Angela Merkel und andere sagten, sie seien 'anders als David leider nicht Teil davon'." Die "Financial Times" berichtet, einige EU-Diplomaten glaubten, Merkels Forderung nach einem "Kooperationsrahmen" für die europäischen und amerikanischen Geheimdienste habe eigentlich das Ziel, für Berlin eine Stellung zu erreichen, die einer Mitgliedschaft in den "Five Eyes" entspreche.

Neue Mitglieder? Nein danke.

In ihrer Pressekonferenz nach dem EU-Gipfel wollte Merkel sich dazu nicht äußern. Der Einfachheit halber schob sie Unwissenheit vor: "Da ich diese Abkommen (zwischen den USA und Großbritannien) nicht genau kenne - obwohl ich weiß, dass es diese spezielle Beziehung gibt -, kann ich jetzt auch nicht sagen, dass wir genau das suchen." Deutschland strebe "eine Grundlage für die Kooperation unserer Dienste" an, "die klar ist und deren Charakter dem von Bündnispartnern entspricht", sagte sie.

Derzeit befinden sich der außenpolitische Berater der Bundeskanzlerin und der Koordinator der deutschen Nachrichtendienste, Christoph Heusgen und Günter Heiß, in Washington, um dort über diese neue Grundlage zu verhandeln. Es gehe darum, das Vertrauen der Bürger wieder herzustellen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Das hat jetzt nichts mit 'Five Eyes' oder Sonstigem zu tun." Tatsächlich ist offen, wie sinnvoll eine deutsche Vollmitgliedschaft bei den "Five Eyes" wäre. Denn Merkel könnte dann wohl sicher sein, dass ihr Handy nicht angezapft wird. Eine ganz andere Frage ist, wie sicher die Daten der normalen Bürger in Deutschland wären.

Doch zu einem Beitritt wird es ohnehin nicht kommen. Denn Deutschland wäre ein Fremdkörper bei den "Five Eyes". Der britische Premier Cameron betonte nach dem EU-Gipfel, wie "einzigartig" die Zusammenarbeit der britischen und amerikanischen Geheimdienste sei. "Ein Teil davon ist die Five-Eyes-Partnerschaft, die vor vielen, vielen Jahren eingerichtet wurde und auch Neuseeland, Kanada und Australien einschließt. Ich denke also, wir sind in der für uns richtigen Situation." Neue Mitglieder? Nein danke.

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