Was haben eine Kunsthochschule und eine Geburtsklinik gemeinsam? In manchen Fällen ist es nur eine Straße, die sie trennt — wie etwa im Fall der Frauenklinik in der Finkenau, die der Architekt Fritz Schumacher 1914 an zentraler Stelle der Hansestadt Hamburg erbauen ließ und die vor allem Prostituierten, unverheirateten und bedürftigen Frauen zugedacht war. Kein Wunder also, dass sie innerhalb der gesetzten Hamburger Bürgerschaft für Proteste sorgte, dennoch aber fertiggestellt werden konnte. Viele Jahre lang stand sie gegenüber der Hochschule für Bildende Künste Hamburg (HFBK), seit ihrer Schließung im Jahre 200 (wegen „mangelnder Wirtschaftlichkeit“) beherbergt das Gebäude dem Hamburg Media Campus, mit Institutionen wie der Hamburg Media School sowie Räumlichkeiten der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) und eben der HFBK.
Geht man der Nähe zwischen den beiden Funktionsgebäuden Kunsthochschule einerseits und Geburtsklinik andererseits ein wenig mehr auf den Grund, entdeckt man aber auch und vor allem Trennendes. Vor allem damals, aber auch immer noch heute sind Mutterschaft und Studium und / oder künstlerische Praxis überwiegend unvereinbar miteinander — außer man bewegt sich in einem sehr privilegierten Umfeld. Dass Männer bzw. Väter sich mit solcherlei Schwierigkeiten nicht herumschlagen müssen, verdeutlicht jedenfalls, dass trotz aller Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung noch vieles im Argen liegt.
In Katharina Pethkes Film Reproduktion, einer essayistischen Verschränkung von Lebensgeschichten und Baugeschichte findet diese Unvereinbarkeit einen durch zwei Kunstwerke illustrierten Ausdruck: Willy von Beckeraths „Die ewige Welle“, 1918 in der Aula der Landeskunstschule Hamburg, der späteren HFBK enthüllt, ist eine überhöhte Darstellung des typisch männlichen Genius, „des wehmütigen, aber starken Künstlers“, wie es Aby Warburg beschreibt, der allen Widerständen zum Trotz unbeirrt seinen Weg geht, um seine Visionen ins und zum Leben zu bringen. Ein monumentales Wandgemälde von 44 Metern Breite und 4 Metern Länge, das heute freilich zu Widerspruch herausfordert.
Das zweite Werk, die Skulptur „Frauenschicksal“ (entstanden zwischen den Jahren 1910 bis 1912) von Elena Luksch-Makowsky, 1913 als einzige Schöpfung einer Frau für den gerade neu eröffneten Hamburger Stadtpark ausgewählt, symbolisiert hingegen den nahezu unmöglichen Balanceakt von Frauen zwischen beruflicher/ künstlerischer Verwirklichung und den Verpflichtungen der ihr zugeschriebenen Mutterrolle.
Doch Pethkes Film bleibt nicht bei solch abstrakten Symbolismen stehen, sondern wird anhand der eigenen Familiengeschichte sehr konkret, was die unterschiedlichen Rollenzuschreibungen für die Frauen in ihrer Familie bedeuteten. Da ist beispielsweise ihre Großmutter Rosemarie, eine Frau aus gesicherten sozialen wie finanziellen Verhältnissen, zeichnerisch begabt, die 1946 mit dem Kunststudium in Hamburg begann. Doch der Traum von der beruflichen wie künstlerischen (Selbst)Verwirklichung war nur von kurzer Dauer; wenig später lernte sie ihren Mann kennen, wurden dann schwanger und musste schließlich die künstlerische Karriere an den Nagel hängen, um ihre vier Kinder großzuziehen, während ihrem Mann die Rolle als Ernährer zufiel. Glücklich wurde sie damit nicht, ihr Leben betrachtete sie als ein unvollendetes, das niemals in der Lage war, alle Möglichkeiten auszuschöpfen.
Anders, aber ebenfalls von zahlreichen Schwierigkeiten in ihrer Entfaltung behindert, erging es da Katharina Pethkes Mutter Maria, der ältesten Tochter von Rosemarie. Die junge Frau mit rebellischem Geist im Sinne der Achtundsechziger-Generation wollte alles anders machen als ihre Mutter, deren Schwäche sie eher abstieß. Auch sie begann ein Studium an der HFBK, auch sie gebar Kinder von verschiedenen Männern, zog diese aber überwiegend alleine groß und zahlte einen hohen Preis für ihr Streben nach Unabhängigkeit: Ihre Eltern warfen sie aus dem Haus und strichen ihr im Gegensatz zu ihrem Bruder jegliche finanzielle Unterstützung.
Und so oblag es der Enkelin Rosemaries, der Filmemacherin Katharina Pethke selbst, den Beweis anzutreten, dass eine Balance zwischen Mutterschaft und Kunstschaffen in unserer Gegenwart vielleicht doch möglich sein könnte. Allerdings gelingt auch ihr im Gegensatz zu den männlichen Kollegen nicht, eine völlige Gleichberechtigung zu erlangen — nur eben anders als beispielsweise bei ihrer Großmutter. Pethke schafft es schließlich, als Professorin für Film befristet an die HFBK berufen zu werden. Weil sich manche der Sitzungen an der Hochschule bis in die Nacht hinziehen, wird ihr geraten, ihre Kinder, die von ihrem Partner betreut werden, besser gar nicht erst zu erwähnen. Die Zeiten haben sich geändert, die Probleme auch, die Ursachen aber sind immer noch dieselben.
Pethkes über den Bildern liegender Kommentar begleitet den Film und schlägt durchaus kenntnisreich (und durchaus auch ein wenig spröde und didaktisch) vom Biographischen und Historischen, von der Geschichte der Institution HFBK und städtebaulichen Facetten manchmal überraschende, und dann wieder verblüffende logische wie auch emotionale Brücken in die Lebenswege und -erfahrungen dreier Frauen. Trotz mancher Längen und Redundanzen verdeutlicht Reproduktion den Kampf, den Frauen in der Vergangenheit und der Gegenwart führen mussten, um sich das zu nehmen, was Männern in deren Wahrnehmung ganz selbstverständlich zuzustehen scheint. Es ist zu befürchten, dass die Zukunft angesichts des derzeitigen Backlashs auch nicht viel besser wird.